SPOILER ALERT!

Auf der Flucht von Karim El-Gawhary und Mathilde Schwabeneder

Auf der Flucht: Reportagen von beiden Seiten des Mittelmeers - Mathilde Schwabeneder, Karim El-Gawhary

Natürlich ist das Thema Flucht, Flüchtlings"krise" und all seine Facetten derzeit in aller Munde. Die ORF-Korrespondenten El-Gawhary und Schwabeneder versuchen hier, anhand der Flüchtlingsströme über das Mittelmeer die verschiedenen Seiten zu beleuchten.

 

Den Anfang machen Einzelschicksale von Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus IS-Gebiet und -Gefangenschaft, aber auch aus Afrika südlich der Sahara. In kurzen Worten wird auch die Situation in den Herkunfsländern beschrieben, was besonders für die afrikanischen Staaten notwendig ist, da über diese ja kaum berichtet wird und dementsprechend die politische Lage auch für einen interessierten Menschen nicht so geläufig ist. Und ja, die Fälle, die hier aufgezeigt werden, machen betroffen, man fühlt mit und schluckt manchmal sehr heftig, und sie zeigen das unglaubliche Glück auf, nicht dort geboren zu sein und nicht vor diesen Entscheidungen stehen zu müssen. Eines ist aber angesichts der Einzelschicksale sicher: Die Flucht ist mit der Ankunft in mehr oder weniger sicheren Ländern nicht vorbei, da das Trauma der Flucht an sich fortwährt und es nicht reicht, nur ein Dach über dem Kopf und Nahrung bereitzustellen, sondern psychologische Hilfe zur Bewältigung notwendig ist.

 

In manchen Passagen wird auch die Ohnmacht der Berichterstatter sehr deutlich - sie sehen Leid und auch wie wenig manchmal notwendig wäre, dieses Leid zu lindern... und trotzdem ist dieses Wenige manchmal unüberwindbar durch bürokratische Hürden und Barrikaden in den Gehirnen derer, die vieles haben, aber nichts hergeben wollen, sprich also derer, die das oben angesprochene Glück für selbstverständlich halten. Dieser Teil artet in einigen Passagen vielleicht zu sehr in die moralische Keule aus - keine Frage, es ist wichtig, diese zu schwingen, aber gezielt und in Maßen.

 

Der zweite Teil deckt die Welt der Schlepper auf, die nicht nur Menschen in überfüllten Booten alleine lassen und sich an deren Erspartem bereichern. Vergessen werden die, die in den Zielländern die Leute weiter schleusen... manchmal direkt als "Ware" in die Hände von Zuhältern. Interessant sind hier schon auch die Geldflüsse, die zeigen, dass Italien alleine noch vor 3-4 Jahren mehr Budget für die Grenzsicherung am Mittelmeer und die dortige Marineeinheiten aufbrachte als die EU es jetzt schafft mit ihrer Frontex.

 

Und zuguterletzt wird ein Blick in eine österreichische Kleinstadt geworfen, die mehr oder weniger über Nacht mit einem Flüchtlingsquartier konfrontiert war, d.h., sich also auch über Nacht mit den eigenen Ängsten und Vorurteilen auseinandersetzen musste. Natürlich geht das nicht bei allen, aber dieses Beispiel (und davon gibt es viele) zeigt, dass eine direkte Konfrontation mit Flüchtlingen manchmal weit mehr Mauern abbauen kann als jede noch so offene und lösungsorientierte akademische Diskussion. Bezeichnend ist aber auch hier, dass vieles auf dem Rücken der sogenannten Zivilgesellschaft ausgetragen wird, auf deren Bereitschaft zu helfen, (Zeit) zu spenden und anzupacken - kurz, die Defizite der Politik, die es verabsäumte, Vorkehrungen im Sinne von genügend Quartier, Deutschkursen und sozialer Unterstützung zu treffen, auszugleichen.

 

Man merkt, dieses Thema ist enorm vielschichtig. Es arbeitet in einem, lässt einen, was auch immer man darüber denkt, nicht kalt. Eines ist aber klar: An einem Punkt alleine anzusetzen, macht wenig Sinn. Genauso wenig wie Abschottung und Vogel Strauß-Politik.Dieses Buch weist uns jetzt keine Lösung, sondern es rüttelt wach, zeigt Facetten, die nicht in den Medien sind... und berührt emotional, was in meinen Augen der wichtigste Aspekt ist, sich diesem so kontroversiellen (oder künstlich kontroversiell gemachten?) Thema zu nähern.

 

Ein kleiner Schwachpunkt allerdings bleibt: Dieses Buch werden nur Leute lesen, die sich auf die Thematik einlassen wollen, d.h., diesen Schritt weg vom rein akademischen Gedanken ohnehin schon gemacht haben. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit es auch "neue" Leser ansprechen kann (oder auch will).